BayernDach Magazin 5-2017
Demografie NACHWUCHS
GLAUBT MAN DEN AUSSAGEN VIELER POLITIKER UND ARBEITSMARKTExPERTEN, STIRBT DEUTSCH- LAND BALD AUS. IST DAS WIRKLICH SO? Fast schon mantrahaft ist in den Medien zu hören, zu sehen und zu lesen, dass die Schülerzahlen dras- tisch sinken und daher auch das Handwerk kaum noch Nachwuchs rekrutieren kann. Umso erstaunter ist derjenige, der einmal tiefer in die amtlichen Statistiken einsteigt. So z. B. in die Schüler- und Absolventenprognose 2017 für den Frei- staat Bayern. Herausgeber ist das Bayerisches Staats- ministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst. So werden hier für 1979 insgesamt 181.031 Absolven- ten und Abgänger von allgemeinbildenden Schulen genannt. Für 2016 wird die Zahl auf 140.156 beziffert. Das entspricht einem Rückgang von rund 22,5%. Und das auch nur, wenn das Jahr 1979 mit einem Höchst- stand als Referenzjahr herangezogen wird. Darunter sind im Jahr 2016 insgesamt 28.729 Schüle- rInnen mit einem erfolgreichen Mittelschulabschluss. Bei der Mittleren Reife galt 1983 als langjähriges Highlight mit 53.586 Schulabsolventen. 2016 jedoch wurde diese Zahl mit 65.397 weit übertroffen. Mit der allgemeinen Hochschulreife, also dem Abi- tur, verließen 1986 insgesamt 28.311 SchülerInnen die Schule. Im Jahr 2016 lag die Zahl bei 38.993 Absol- venten. Für 2017 wird mit einem weiteren Anstieg auf 39.100 AbiturientInnen gerechnet. Zum Stichtag 1. September 2017 melden die bayeri- schen Handwerkskammern 27.410 neue Ausbildungs- verträge. Das ist ein Plus von 2,1% gegenüber dem Vorjahr. Und seit Jahren legt das Handwerk zu bei den besetzten Lehrstellen. Das aber kann kaum möglich sein, wenn es tatsächlich so drastisch weni- ger SchulabgängerInnen gäbe. Dem gegenüber steht die Zahl der Handwerksbe- triebe. Laut Geschäftsbericht des Bayerischen Hand- werkstages BHT waren 2015 in Bayern 202.254 Be- triebe tätig. Im Vergleich dazu waren es 2010 „nur“ 194.260 Betriebe. Die Zahl der Betriebe ist also allein in den fünf Jahren zwischen 2010 und 2015 um über
4% (= 7.994 Betriebe) gestiegen. Damit nahm zwangsläufig auch der Fachkräfte- und Nachwuchs- bedarf zu. Tatsächlich ist der Rückgang der Ausbildungs-Inte- ressierten für das Handwerk wohl nicht auf einen de- mografischen Wandel zurückzuführen. Vielmehr sind die Gründe vordergründig im veränderten Übertrittsverhalten nach der Grundschule und in einem erhöhten Bedarf der Betriebe zu suchen. Gerade aber das veränderte Übetrittsverhalten muss verwundern. Denn nach den Ergebnissen der jüngst vom Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungs- wesen (IQB) veröffentlichen Studie erfüllen gerade einmal 73,9% der Viertklässler den geforderten Bil- dungsstandard im Fach Deutsch. Das heißt: Nur 3 von 4 SchülerInnen können das entsprechende Bildungs- niveau vorweisen. Dennoch beträgt die Übertritts- quote (Schuljahr 2016/2017) von der Grundschule zum Gymnasium 39,3%. Noch 2003/2004 betrug diese Quote 30,6% und stieg – paradoxerweise bei Einführung des G8 im Jahr 2009/2010 – auf 40% an. Das „Ausweichen“ auf Abiturienten bei der Nach- wuchssuche ist aber nicht immer die beste langfris- tige Lösung des Fachkräftemangels. So beklagte kürzlich ein Betrieb, dass sein Azubi mit Abitur ge- nau den Weg gegangen ist, der in vielen Pressein- formationen zu diesem Thema vorgeschlagen wird: Nach der Ausbildung begann er ein Studium – und steht nun nicht mehr als Fachkraft zur Verfügung. Interessant ist auch ein Blick auf die Schülerzahlen von einst und heute in den Grundschulen: Im Schul- jahr 1981/1982 gab es in Bayern 456.938 Grundschü- ler, von denen ein großer Teil seine Schulbildung in den folgenden sechs bis zehn Jahren – also 1991/1992 – abgeschlossen hat. Im Schuljahr 2006/ 2007 verzeichneten die bayerischen Grundschulen aber 506.722 SchülerInnen. Das ist eine Zunahme von rund 10%. Und selbst für den künftigen Schuljahr- gang 2030/2031 werden bayernweit noch 485.330 Grundschüler prognostiziert. Von demografisch be- gründetem Nachwuchsmangel oder -wandel kann also kaum die Rede sein.
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